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Joseba Sarrionandia

    (1958)

 

Sarrionandia entkam 1985 aus dem Gefängnis und ist seitdem flüchtig. Es gibt nur wenige Autoren, bei denen persönliche Lebenssituation und literarische Entwicklung derart miteinander verbunden sind: Nach einer ersten Phase des Kultismus verfolgte er im Gefängnis eine lyrische Linie über Gefangen- oder Eingeschlossensein sowie Entfernung und Trennung, die einen bedeutenden Einfluss auf andere Autoren, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Haftanstalten hatte. Seine Situation als anonymer Weltbürger führt ihn dazu, seine Persönlichkeit, das Hier und Dort immer wieder dialektisch zu hinterfragen.... All dies tut er stets mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Er ist einer der Autoren, die in der gegenwärtigen baskischen Literatur einen Bezugspunkt darstellen, insbesondere im Bereich Poesie und Kurzgeschichten.

 

LITERATUR UND REVOLUTION

        Joseba Sarrionandia , 1987

 

 

Als Kommissar Angel Martinez den Lauf seines

                                                      Revolvers

in den After des nackten Gefangenen steckte und das schmutzige,

              blutverschmierte, pathetische Korn wieder herauszog,

was interessierte es da den gefolterten jungen Mann, ob der Dichter

                                          ein Heuchler  ist oder nicht?

Hat G.K. Chesterton jemals La Salve1

                                besucht?

Wer in den Kerkern von Intxaurrondo kennt schon

                                                          Hermann Broch?

Wie wird der gefolterte junge Mann später,

                  wenn er zerstört vor dem Richter steht,

                        die genaue Bedeutung

des Konzepts objective correlative erklären?

Was ist für Molly Bloom das Morgengrauen von Carabanchel2

                        voller Nähnadeln?

Was bedeutet Michel Foucault jemandem, der zehn Monate lang

                                    in Bunkerhaft verkümmert?

Fünf Minuten Besuch? Eine lyrische Begegnung?

                                Müssen die baskischen Gefangenen

die Bibel von Jean Duvoisin3 studieren,

                                    um in ihren verbotenen Briefen

die Hs und die Kommas an die richtige Stelle zu setzen?

                            Was ist für die Literatur

der unerschöpfliche ethische Wert

            des Widerstandsgeistes, der Revolution, des Abenteuers?

Was schreiben Voprosi Literaturi oder Tel Quel

        irgendwo am Rande

über die nicht endenden Hungerstreiks der baskischen Gefangenen?

        Was interessieren Engagement und Einsatz

den jungen Mann, der -ungedeckt

        wie die Fahne der Revolution - den Schüssen der Polizisten entflieht....

 

 

1 La Salve und Intxaurrondo sind Kasernen der Guardia Civil in Bilbo bzw. Donostia.

2 Bekanntes ehemaliges Gefängnis im gleichnamigen Stadtteil von Madrid.

3 Duvoisin, Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Übersetzte im Auftrag von Louis Lucien Bonaparte die Bibel ins Baskische. Bedeutender Kenner der baskischen Sprache.

 

 

Übersetzung: Gabriele Schwab

Originalversion: LITERATURA ETA IRAULTZA

 

© Joseba Sarrionandia    

© Übersetzung: Gabriele Schwab    

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